Mittwoch, 14. Oktober 2009

Ich, die Anderen und das Internet

In die Schule (hier so: Kleinstadtgymnasium – little horror show) bin ich nie besonders gerne gegangen und die Gründe dafür waren gar nicht mal ausschließlich im Unterricht zu suchen. Ich hatte in der Schule zwar ein paar Freunde und kam auch mit jedem gut klar – doch ich fühlte mich nirgendwo zugehörig. Die wirklich guten Freunde hatte ich (abgesehen von einer besten Freundin) immer außerhalb meiner Schule. An anderen Schulen, in anderen Stadtteilen, später auch in anderen Städten.

Die beste Freundin und ich waren in den Pausen meist die, die mit den Jungs und noch ein oder zwei anderen Mädels in der Raucherecke standen und in der Schule so insgesamt öfter mal nicht anwesend waren. Außerdem waren wir, hier im Kaff, Exoten. Wir hörten Techno und durften mit 16 nach Berlin zur Loveparade (und wurden anschließend von der halben Schule um die T-Shirts beneidet – die mussten wir natürlich gemeinschaftlich vorführen – ganz klar!). Wir waren die, die schon vor 10 Jahren regelmäßig online waren, als alle anderen in der Klasse das Internet noch skeptisch von der Seite beäugten. Wir haben geraucht und Beatabende (die obligatorische Dorfdisco – für alle Nicht-Unterfranken) für doof befunden. Freiwillig Goethe und Schiller gelesen und hier und da mal Drogen konsumiert. Ich hatte mit 15 Jahren bereits eine zweijährige Beziehung hinter mir, mit allem, was so dazu gehört. Und auch danach immer feste Freunde – und das auch noch für längere Zeit als die üblichen drei Monate. Wir wurden ab der 9. Klasse nach Schulschluss von Freunden mit dem Motorrad oder Auto abgeholt, interessierten uns aber gar nicht dafür, wer jetzt in der Klasse mit wem liiert war, wer frisch getrennt oder akut verknallt. Wir beteiligten uns nicht an Schwärmereien für Mitschüler, Lehrer oder Fußballspieler und auch nicht am aktuellen Tagestratsch. Daraufhin waren wir zwar weiterhin akzeptiert, wurden allerdings als arrogant betitelt. Am Anfang wehrte man sich noch ein bisschen indem man sagte „Ich bin nicht arrogant, es _interessiert_ mich nur nicht!“, gab das jedoch relativ schnell auf und kultivierte die Arroganz. Abneigungen brachte uns das nicht ein – besonders viel Liebe allerdings auch nicht.

Schlussendlich brachte das Internet den Durchbruch. Wo wir uns vorher unverstanden und gelangweilt fühlten, fanden wir im Netz schnell Gleichgesinnte.

Ich habe schon vieleviele Menschen übers Internet kennen gelernt und es sind einige wirkliche Freundschaften daraus entstanden. Die besten – die, die nach Jahren immer noch halten.
Und besonders schön: Jetzt können wir zusammen arrogant sein. Und ich muss nicht mehr so tun, als wäre ich es nicht. ;-)

Danke, liebes Internet! Ohne dich wäre ich jetzt wahrscheinlich mit einem Dorftrampel verheiratet, ginge donnerstags zur Maniküre und beteiligte mich jeden Morgen im Kindergarten am neuesten Klatsch und Tratsch.
Gruselig.
Herr B. - 14. Okt, 22:02

Was für eine grauenhafte Vorstellung ;-)

Ist es wirklich so, dass man hier besonders zielsicher gute, dauerhafte Freunde finden kann? Wenn ja, wie kommt das? Liegt es an der verminderten Hemmschwelle und der damit verbundenen Offenheit/Ehrlichkeit?

Einen schönen Abend für die arrogante Maus *fg*

fraumaus - 14. Okt, 22:09

Ich schätze eher daran, dass man sich im Netz aus einer riesigen Masse genau die Menschen "aussuchen" kann, die irgendwie "passen". Das trifft besonders dann zu, wenn man selbst nicht allzu massenkonform ist bzw. andere Vorstellungen vom Leben und Miteinander hat.
Hier in der Kleinstadt war's für mich wirklich schwer, Menschen zu finden, die auf der gleichen Wellenlänge waren, von denen ich mich verstanden fühlte.
Herr B. - 14. Okt, 22:12

Du meinst, die Auswahl ist einfach größer, und damit auch die Chancen? Das würde allerdings zumindest für diese Stadt hier nicht zutreffen. Und dennoch fiel und fällt es mir noch immer schwer, genau DIE Menschen zu treffen, die ich gern treffen möchte in meinem Leben.
fraumaus - 14. Okt, 22:15

Aber auch in einer riesigen Stadt lernt man doch oft nur die Menschen im näheren Umfeld kennen - und wenn dort keiner ist, der einem zusagt...?
Im Internet trifft man sich automatisch irgendwie in Interessengruppen (bestimmte Foren, Blogs, wasauchimmer) und so ist die Wahrscheinlichkeit dann schon größer, dass dort auch eine zweite Hälfte (ob jetzt partnerschaftlich oder freundschaftlich) zu finden ist.
Oder?
Herr B. - 14. Okt, 22:22

Ich denke, es ist nicht (nur) die Masse. Draußen in der Bahn, beim Einkaufen oder wo auch immer trägt niemand ein Schild um den Hals mit seinen Gefühlen, Eigenschaften, Lebensphilosophien. Hier im Netz kann ich sehr schnell und viel lesen, was andere Menschen bewegt, wie sie schreiben, wie sie sich "präsentieren". Es ist wie eine Visitenkarte, auch wenn dafür meist die optische Komponente fehlt. Aber ich kann mich orientieren, und die geringere Hemmschwelle sorgt dann vermutlich auch noch dafür, dass ich mich traue, ihn oder sie anzusprechen.
fraumaus - 14. Okt, 22:36

Für mich persönlich würde ich behaupten, dass es hauptsächlich daran liegt, dass es nicht allzu viele Menschen gibt, mit denen ich mich identifizieren, mit denen ich wirklich gut reden kann.
Das fiel mir immer wieder auf - z.B. dass unter 60 Kollegiaten gerade mal zwei Mädels waren, die ich wirklich gut leiden konnte. Und unter 30 Berufsschülern kein einziger. Das nur als Beispiel.
Ich hab' mich mit denen schon verstanden, man konnte auch quatschen - aber so wirklich doll war das nie.

Offener? Das würde ich (in meinem Fall) gar nicht mal unbedingt behaupten. Wenn ich jemanden mag, spreche ich schnell ziemlich offen und das Gegenüber (Sympathie natürlich vorausgesetzt) auch - auch im "echten Leben".
Ich, für mich, mache das wirklich an Masse und Interessengruppen fest. Und natürlich an der Schnelligkeit - wo ich anderswo zwei Stunden rumreden muss, kann ich im Internet ein Profil/Blogeinträge/Foreneinträge lesen und gleich als sympathisch oder unsympathisch einstufen.
Aber natürlich hast du auch Recht. Es ist wohl eine Mischung aus beidem. Die Offenheit und fehlende Hemmschwellen zählen schon auch dazu. Ich spreche ja unterwegs niemanden einfach so an - im Netz vielleicht schon eher. Gell? ;-P
Herr B. - 14. Okt, 22:43

Gibt es eine mundartgerechte Zustimmung auf dieses Fragewort? *fg*
Die Schnelligkeit, hier im Netz viele Personen auf einmal "scannen" zu können, zählt sicher auch dazu. Ist quasi fast wie eine Freundschaftsbörse, wo ich in Ruhe Annoncen studieren und mich inspirieren lassen kann, wer mich besonders anspricht. Und erstaunlicherweise trifft man da mit seiner Entscheidung ziemlich zielsicher ;-)
Jupiter (Gast) - 14. Okt, 22:09

Wir singen

eine Ode auf das Internet!

Freude, schöner Götterfunken
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum!
Deine Zauber binden wieder
Was die Mode streng getheilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

fraumaus - 14. Okt, 22:09

Hervorragend! ;-))
errorking - 14. Okt, 22:55

ode ans internet

Scheusslich schöner Menschenkrempel!
sitzen wir am Abend spät,
trunken im vernetzten Tempel
vor dem grässlichen Gerät!
Deine Zauber düsen wieder
quer durch unsres Hirnes Rest
alle Menschen werden Brüder
doch die Augen brennen fest
Leserin (Gast) - 15. Okt, 17:35

Ich lese und kommentiere regelmäßig
nur in den Blogs oder Foren, die mich persönlich ansprechen. Die Wahl der Worte, die Art zu schreiben spielen da eine große Rolle für mich.

Dabei spielt es keine Rolle, wie der oder die Verfasser/-in aussieht während des Gedankenaustausches im Netz.

Ich lese hier und da immer mal, weil das den Horizont erweitert, Spaß macht und die Gehirnzellen am Leben erhält.

Die persönlich ververste Ode an das Internet von meinem Vorkommentator ist ganz nach meinem Geschmack ;-)))))

NoahJoel - 16. Okt, 12:18

Ich hatte auch immer bloß ein oder zwei beste Freundinnen.
Love Parade fand ich trotzdem scheiße *gacker*
Meine meisten Mitschüler allerdings auch.
Witzig ist es aber, diese dann im Internet wiederzufinden (gibt ja nun genug Seiten, über die das möglich ist) und festzustellen, dass sie sich anscheinend nicht großartig verändert haben. Hehe. Zugegebnermaßen spioniere ich gerne (und tue das immernoch mit besagter bester Freundin zusammen) :-)

Chromonkel (Gast) - 22. Okt, 22:49

wie jetzt? bin ich also auch arrogant, oder...

na gut, alle doof, außer wir!

Bücherdingens


Paul Auster, Joachim A. Frank
Stadt aus Glas. SZ-Bibliothek Band 6

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