Donnerstag, 14. Mai 2009

Meine kleine Oma

Aus "Das Buch vom Lachen und Vergessen" (Milan Kundera):

"Sie hielten die Mutter jeder auf einer Seite unter dem Arm fest und mussten sie buchstäblich tragen, der Wind hätte sie sonst fortgeblasen wie eine Feder. Gerührt spürte Karel ihr fast nicht mehr wahrnehmbares Gewicht in seiner Hand, und er begriff, dass seine Mutter in ein Reich anderer Wesen gehörte: sie waren kleiner, leichter und einfacher fortzublasen."

An dieser Stelle standen mir heute die Tränen in den Augen.
Ich sah meine kleine Oma, die in ihren letzten Jahren auch so _verdammt_ leicht und einfach fortzublasen war. Ganz sicher gehörte sie da auch schon in ein Reich anderer Wesen. Ich wollte immer wissen, was sie hörte, dachte, sah. Was ihren Tag bestimmte, ob ihre Realität vielleicht einfach nur eine ganz andere war.
Früher hat sie mir Mützen gestrickt und mir alles über die Natur beigebracht. Sie ist mit meinem Opa und mir wandern gegangen und wir sangen dann immer "Das Wandern ist des Müllers Lust" und "Eine lange Reihe". Wir haben im Urlaub immer so ein kleines, hellblaues Aluminumbecherchen auf unsere Ausflüge mitgenommen und am Wegrand Himbeeren gesammelt. Wir wollten Himbeermilch machen, haben aber immer alle Himbeeren schon auf dem Rückweg aufgegessen.
Wir sind vor Sonnenaufgang aufgestanden um Pilze sammeln zu gehen. Und jedes Mal habe ich mich gefreut, wenn wir dabei Erika-Kraut entdeckt haben. Wenn es etwas gibt, das wie meine Oma heißen darf, dann muss es eine Pflanze sein. Eine kleine. Robuste, immergrüne. :-)
Bei Familienfeiern war ich immer froh, dem Trubel entkommen zu können und bin zu ihr in die Küche gegangen. Wir haben dann abends zusammen kalte Platten gemacht und sie hat anschließend vor allen stolz verkündet, dass ich die ganz allein dekoriert habe.
Sie war die Mutter meines Vaters - eine typische Jungsmama eben. Wenn sie mich nach dem Baden abgetrocknet hat, tat das richtig weh. (die Handtücher waren ja damals auch noch so hart) Aber sie hat da keine Rücksicht genommen auf verwöhnte, kleine Mädchen. "Beiß die Zähne zusammen!", hat sie immer gesagt. Und ich war still. Nicht aus Angst, sondern aus Einsicht.
Wenn ich bei meinen Großeltern übernachten durfte, wurde ich abends von ihr zugedeckt - mit einem für mich damals rieeesigen Federbett, das immer soooo gut und frisch roch, im Winter hat dazu im Ofen das Feuer leise geknistert. Ich konnte noch nirgendwo besser einschlafen. :-)

Drei Wochen nach der Geburt meiner Tochter ist sie gestorben. Die beiden haben sich leider nie kennenlernen können.
Manchmal fehlt sie mir... und irgendwie hoffe ich, wir sehen uns mal wieder. Irgendwann. Da auf ihrer Wolke. :-)

Bücherdingens


Paul Auster, Joachim A. Frank
Stadt aus Glas. SZ-Bibliothek Band 6

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frau_maus (at) gmx .net

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